Echo from the past: 1944

Trump, 2016 by Gage Skidmore
Donald Trump 2016 (Photo by Gage Skidmore)

Wer lügt, schämt sich, denn an jeder Lüge muß er das Unwürdige der Welteinrichtung erfahren, die ihn zum Lügen zwingt, wenn er leben will, und ihm dabei auch noch »Üb immer Treu‘ und Redlichkeit« vorsingt. Solche Scham entzieht den Lügen der subtiler Organisierten die Kraft. Sie machen es schlecht, und damit wird die Lüge recht eigentlich erst zur Unmoral am anderen. Sie schätzt ihn als dumm ein und dient der Nichtachtung zum Ausdruck. Unter den abgefeimten Praktikern von heute hat die Lüge längst ihre ehrliche Funktion verloren, über Reales zu täuschen. Keiner glaubt keinem, alle wissen Bescheid. Gelogen wird nur, um dem andern zu verstehen zu geben, daß einem nichts an ihm liegt, daß man seiner nicht bedarf, daß einem gleichgültig ist, was er über einen denkt. Die Lüge, einmal ein liberales Mittel der Kommunikation, ist heute zu einer der Techniken der Unverschämtheit geworden, mit deren Hilfe jeder Einzelne die Kälte um sich verbreitet, in deren Schutz er gedeihen kann.

Theodor W. Adorno: Minima Moralia

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Lawinengefahr

An availability cascade is a self-sustaining chain of events, which may start from media reports of a relatively minor event and lead up to public panic and large-scale government action. On some occasions, a media story about a risk catches the attention of a segment of the public, which becomes aroused and worried. This emotional reaction becomes a story in itself, prompting additional coverage in the media, which in turn produces greater concern and involvement. The cycle is sometimes sped along deliberately by »availability entrepreneurs«, individuals or organizations who work to ensure a continuous flow of worrying news. The danger is increasingly exaggerated as the media compete for attention-grabbing headlines. Scientists and others who try to dampen the increasing fear and revulsion attract little attention, most of it hostile: anyone who claims that the danger is overstated is suspected of association with a »heinous cover-up«. The issue becomes politically important because it is on everyone’s mind, and the response of the political system is guided by the intensity of public sentiment. The availability cascade has now reset priorities. Other risks, and other ways that resources could be applied for the public good, all have faded into the background.

Daniel Kahneman: Thinking, Fast and slow

Vernunftgründe

Der vernünftige Mensch sagt so oft Nein, dass er bald Ja sagt, wo er eben noch verneinte; die Vernunft selbst ist es, die eines Tages dieses Ja gebietet – und jedes vernunftvolle Nein zuvor hätte daran mitgewirkt, ja, darauf hingearbeitet. Bescheidenheit, Genügsamkeit, Entsagung und Demut sind zwar Produkte der Vernunft, aber das Umschlagen in ihre Gegenteile ist nicht weniger vernünftig; es markiert lediglich die Entdeckung der menschlichen Freiheit. Nichts anderes nannte Nietzsche den »Willen zur Macht«.
Analog dazu: »You either die a hero, or you live long enough to see yourself become the villain«1 ist psychisch bedingt und bereits im Heldentum enthalten, denn: »Ein Held ist bloß ein Mensch, der zu einem Exzess fähig ist.«2 Dieselbe innere Spannung schießt beim Helden ins Vertikale der hohen Tat, beim Schurken ins Horizontale einer allzu breiten Freiheit angesichts Myriaden dunkler Möglichkeiten. Die Entwicklung vom Helden zum Schurken bedarf daher keines äußeren Einflusses und ist im Individuum angelegt. Ist aber die Verbindung zwischen Held und Schurke uni- oder bidirektional?


1. The Dark Knight (2008, Regie: Christopher Nolan)
2. Spoorloos (1988, Regie: George Sluizer)

Die Angst

Die Angst ist ein stehendes Gewässer von dunkelgrüner Farbe und unbekannter Tiefe. Ein Teich vielleicht oder ein Weiher. Seine Oberfläche ist undurchsichtig und still. Die spiegelnde Glätte wird von keiner Bewegung gestört; der Betrachter versteht sogleich: Alles ereignet sich unterhalb der Oberfläche, tief unten, womöglich am Grund. Falls es einen Grund gibt, denn bislang hat keiner ihn erreicht. Aber was passiert dort unten? Darüber wissen wir wenig, fast nichts. Nur soviel scheint gewiss: In einigen Hundert Metern Tiefe lebt eine einzige Kreatur und zieht dort seit Menschengedenken ihre Bahnen. Man geht davon aus, dass sie sehr hässlich ist, da sie in ewiger Nacht existiert. Tatsächlich hat niemand jemals den Kopf des Fisches gesehen; nicht nur, weil es bekanntlich stockfinster dort unten ist, sondern weil er stets davonschwimmt, stets weg vom Geängstigten. Die jähen Wellen verursacht von flinken Bewegungen im Dunkeln oder bloß die Ahnung der unheimlichen Präsenz irgendwo in dieser kalten und lichtlosen Weite verursachen blankes Entsetzen, blinde Panik: Auftauchen, nur sofort auftauchen! Die Tapfersten schwimmen ihm eine Weile nach, aus Neugier wohl oder verzweifelter Einsamkeit. Sie berichten von einer knorpeligen Schwanzflosse und einem knöchernen Rumpf, nicht größer als der eines Karpfens. Sein Kopf, wie gesagt, bleibt ein Geheimnis. Von zweien habe ich gehört, dass sie ihn vor einigen Jahren nach tagelanger Verfolgungsjagd und dem Ertrinken nahe gesehen haben wollen. Jedoch zu dem, was genau sie damals sahen, schweigen sie beharrlich.